Ich bin da mal wieder etwas ambivalent.
Da gibt es ein deutschlandweites Phänomen, ich kann allerdings hauptsächlich von Bayern sprechen, da ich es da nunmal direkt miterlebe.
Auf der einen Seite beobachten wir seit Jahren einen fortwährenden Abfall des durchschnittlichen Leistungsniveaus an allen Schultypen. Seit Jahren findet auch eine schleichende Anpassung der Anforderung nach unten statt, um zu verhindern, dass ganze Klassenstufen mit einem Viererschnitt in manchen Fächern abschließen. Ich erlebe das regelmäßig in den MINT-Fächern und in den Sprachen, dass bereits in der Unter- und Mittelstufe regelmäßig Klassenarbeiten in einem Notenschnitt unter 4 resultieren. Das hat verschiedene Gründe, die sich gegenseitig bedingen. Wir erleben eine Abwertung quasi aller Bildungsabschlüsse. In Bayern gibt es den qualifizierenden Hauptschulabschluss, der eine Extra-Prüfung erfordert, und etwas über dem normalen Hauptschulabschluss angesiedelt ist. Mit dem sogenannten Quali eine Lehrstelle zu finden, ist schon nicht ganz einfach. Mit dem "normalen" Hauptschulabschluss zumindest in der Großstadt, fast schon unmöglich. Da gibt es glaube ich gerade noch sechs oder sieben mögliche Ausbildungen, die offen stehen. Mit Quali wie gesagt etwas besser. In der Theorie. Denn in der Praxis bewerben sich auf attraktive Ausbildungsplätze bei attraktiven Firmen, die früher typische Hauptschulberufe waren, heute auch Realschulabsolventen und Gymnasiasten. Mit denen müssen die Hauptschüler dann im Bewerbungsprozess konkurrieren.
Die meisten typischen Realschüler-Ausbildungsstellen gehen heute dafür an Abiturienten. Und die Zeiten, in denen man mit einem Hauptsache-Bestanden-Abi in die meisten Studiengänge (bis vielleicht auf Medizin) hineinkam, sind auch vorbei. B.A. Soziale Arbeit an der TH in Nürnberg hatte für dieses Jahr einen NC von 2.3. Soziale Arbeit war früher der Studiengang für die 3.9-Abis.
Aber da hört es nicht auf. In den meisten technischen Berufen, brauchst Du mit einem Bachelor-Abschluss gar nicht auftauchen, die wollen für jede Stelle mit minimaler Verantwortung einen Master. Und für ne Leitung wird fast schon grundsätzlich ein Doktor erwartet. Wie gesagt, nicht in allen Bereichen, aber in den Schlüsselbranchen nimmt das zu.
Die Abschlüsse sind nichts mehr wert. Und das ist ein Teufelskreis.
Denn das hat auch damit zu tun, dass sie zu leicht zu bekommen sind. Ein Abi, das jeder schaffen kann, ist eben kein besonderer Abschluss mehr. Andererseits ist esd aber ein Abschluss, den man haben muss, um irgendetwas erreichen zu können, und so versuchen Eltern ihre Kinder natürlich auf Teufel komm raus ins und durchs Gymnasium und durch ein Studium zu drücken, weil die niedrigeren Abschlüsse ja noch mehr im Ansehen verfallen sind.
Aber wie schon gesagt werden die Schüler als Ganzes am Gymmie immer schlechter. Unter Gymnasiallehrern gibt es das geflügelte Wort von der "Realschulisierung". Man kann das durch die Anwesenheit von einem Haufen eigentlich nicht gymnasial geeigneter Kinder erklären, die mit Druck und Nachhilfe und viel gutem Willen seitens der Lehrkräfte sich irgendwie durchwurschteln, aber das reicht als Erklärung nicht. Denn die sinkende schulische Leistungsfähigkeit macht sich quer durch die gesamte Schülerschaft bemerkbar, auch an der Spitze. Selbst die Klassenbesten können sich oft nicht länger als ein paar Minuten konzentrieren, und sind nachweislich nicht in der Lage, Prüfungsaufgaben zu lösen, die in meiner Gymnasialzeit Standard waren.
Liegt es an den Lehrern? An den Medien? An der Bremse durch schwächere Mitschüler?
Schwer zu sagen. Es gibt beschissene Lehrer. Aber ich selber habe es schon mehrfach erlebt, dass Schüler mir Stein und Bein schwören, noch nie von etwas gehört zu haben, was ich ihnen höchstpersönlich erst am Tag davor gesagt hatte.
Und jetzt kommen wir zur anderen Seite der Medaille.
Die Schule, insbesondere das Gymnasium ist kaputtreformiert worden. Das G8 war ein Riesenfehler. Wichtige Inhalte wurden sinnentstellend gekürzt, Vertiefungszeiten für Grundfähigkeiten gingen flöten, und wichtige Teile des Stoffes wurden in Klassenstufen vorverlegt, in denen die Kinder pubertätsmäßig an sich rein biologisch gar nicht in der Lage sind, derart wichtigen Stoff zu lernen. Wir haben damals tatsächlich in den meisten Fächern nach der siebten Klasse noch mal alles wiederholt und vertieft. Man sagt uns, die Abiturnoten seien nicht schlechter geworden im G8, aber wie gesagt wurden die Anforderungen auch massiv nach unten korrigiert.
Kinder haben unterschiedliche Stärken und Begabungen. Und nicht jeder braucht später im Studium und Berufsleben die selben schulischen Lerninhalte. Das Kurssystem, das es zu meiner Zeit gab, hat dem Rechnung getragen. Natürlich ist Mathe eine wichtige Voraussetzung für viele akademische Berufe, aber eben nicht für alle, und vor Allem nicht auf Leistungskursniveau. Wir konnten uns damals unsere Leistungskurse, sprich die Hauptfächer im Abi wählen. Nicht völlig frei, es gab Pflichtfächer und -Kombinationen, und es musste ein Allgemeinbildungslevel gewahrt bleiben, natürlich, aber weder braucht ein angehender Maschinenbauer Geschichte und Religion auf LK-Niveau, noch braucht an angehender Deutschlehrer ein vertieftes Wissen über Kurvendiskussion, Vektoren oder Matritzen.
Heute müssen alle die gleichen Hauptfächer belegen, und die selbe Prüfung schreiben. Dabei ist allerdings das Anforderungsniveau in verschiedenen Hauptfächern alles andere als gleich. Insbesondere Mathematik sticht da hervor in einer mit anderen Fächern nicht mal ansatzweise vergleichbaren Breite und Tiefe des Stoffes. Würde man in Deutsch oder Fremdsprachen ähnliche Anforderungen stellen, also einen Stoff und Fertigkeiten soweit jenseits des zur Allgemeinbildung Notwendigen als Standard für jeden Abiturienten festlegen, wäre das Gejammer unter agehenden Informatikern, BWLern und Maschinenbauern vermutlich groß. Die Mathematik, die im Abi dran kommt, brauchen 98% der Bevölkerung danach nie wieder. Das wäre so, als wenn man von jedem Abiturienten erwarten würde, im Deutsch-Abi einen kompletten Roman zu entwerfen und das stilistisch, orthographisch und grammatikalisch fehlerfrei. Oder Englisch auf Mutterspracheniveau zu beherrschen mit tiefgehendem Wissen in den Feinheiten der englischen Linguistik und der Literatur.
Und dann kommt da noch was dazu, und das ist ein elementarer Rückschritt in der Didaktik. Ich habe vorher schon von der Realschulisierung des Gymnasiums gesprochen. Gymnasialer Ansatz wäre eigentlich: ich erkläre Dir wie es funktioniert, und dann verstehst Du das Prinzip, und kannst es auf dieses und ähnliche Probleme anwenden. In der Realität lautet gymnasiale Didaktik aktuell im Bayrischen Schulsystem eher: Ich sage Dir, was Du wo hinschreiben sollst, und Du machst das genau so und nicht anders.
Schüler bekommen Punktabzug wenn sie in einer Klausur einen anderen als den im Unterricht erlernten Lösungsweg anwenden, selbst wenn dieser funktioniert und zum richtigen Ergebnis führt. Das ist Realschule. Nicht Gymnasium. Aber so sieht es das System vor. Eigenes Denken, kreative Lösungen werden bestraft. Belohnt wird das Befolgen erlernter Schemata. Und das wird eingeübt bis zum Erbrechen.
So.
Wenn es dann stimmt, dass in der Abiturprüfung dann plötzlich Aufgaben dran kommen, die so noch nie vorher geübt worden sind, und dann auch noch due Zeit so knapp kalkuliert wurde, dass es den meisten nicht möglich war, sich einen eigenen Lösungsweg herzuleiten, dann ist die Prüfung in der Tat falsch gestellt. Denn genau das hat man den Schülern ja in acht Jahrem Gymnasium abtrainiert.
Allerdings muss ich auch noch mal sagen:
ich selber habe es schon mehrfach erlebt, dass Schüler mir Stein und Bein schwören, noch nie von etwas gehört zu haben, was ich ihnen höchstpersönlich erst am Tag davor gesagt hatte.
Ein gewisser Zweifel ist schon vorhanden.
Wobei eigentlich nicht die Prüfung falsch war, sondern der Unterricht in den acht Jahren davor. Unis bemängeln durch die Bank, die meisten heutigen Abiturienten seien eigentlich nicht studiumsreif. Weder von der Bildung her, noch von der Fähigkeit der Selbstorganisation. Und das liegt meiner Meinung nach auch an den schulpolitischen Fehlentscheidungen der letzten 20 oder so Jahre. Von denen übrigens keine einzige pädagogisch oder didaktisch motiviert war, sondern rein finanziell. G8 spart teure Lehrerstellen. Einheitsabi spart teure Lehrerstellen. Fertig.