Also, da fliegen einem tiefschürfende Erkenntnisse ja wirklich wie Kanonenkugeln um die Ohren: „Der Mann muß mehr verdienen, damit sie eine Partnerschaft eingeht“, „Frauen wollen Gleichberechtigung, aber der Mann soll beim ersten Date zahlen“, „Männer arbeiten auf dem Bau und Frauen in sozialen Berufen, so will das nun mal die Natur, weil Männer stark und Frauen empfindsam sind“ (…)
Ja nun, manche Leute sind Unikate, wie der Artikelverfasser, ich fühle mich beim Lesen eher wie ein Unikum: als ich meinen Mann geheiratet habe, war er arbeitslos, ich dagegen hatte einen festen Job und verdiente gut. (In den folgenden Jahren wechselte es, mal verdiente ich mehr, mal er, und wir unterstützten uns gegenseitig finanziell und emotional, wie es gerade kam – ich bin immer noch froh, dass wir nie gleichzeitig Depressionen hatten… wer gerade mehr hatte – an Geld, geistiger Gesundheit, et cetera, der gab einfach mehr, aber wir sind da wohl zu pragmatisch und nicht genderbewußt genug).
Ich habe auch unzählige Male Männer zum Essen eingeladen und alles bezahlt (sogar gerne, weil ich halt unheimlich gern Essen teile, egal, ob ich oder jemand anders es gekocht hat) und ich bin unzählige Male eingeladen worden und hab' dem Mann nicht das Portemonnaie aus der Hand gerissen, wenn er zahlen wollte. Und das, obwohl ich zu der Generation gehöre, denen Mama gesagt hat, daß ich das niemalsnichtundnie tun sollte, „denn Männer erwarten immer eine Gegenleistung dafür!“
Später fand ich heraus, daß mit „Gegenleistung“ Sex gemeint war und habe mich dann konsequenterweise nur noch von Kerlen einladen lassen, mit denen ich sowieso schlafen wollte – nur für alle Fälle, damit endlich mal was stimmt, was Mama so an Weltwissen auf mich übertragen hat. Die Trefferquote war leider nicht so groß, denn meine Mutter hatte ihre Jugend in den 50’ern und ihre Sozialisation in den 80’ern (also, des Jahrhunderts davor). Und ich finde ja auch, die Trümmerfrauen hätten lieber nicht diese schweren Karren mit Bauschutt herumschieben sollen, sondern doch einfach warten können, bis die im Krieg verstorbenen Männer wieder auferstehen und es machen.
Um fair zu sein, muß man allerdings hinzufügen, daß sie das wahrscheinlich auch nicht gern getan haben, oder deshalb, weil sie es so wahnsinnig gut konnten, sondern einfach nur, weil irgendjemand es machen mußte und niemand sonst da war. Es geht so vieles, wenn der Mensch, egal ob männlich oder weiblich, herausgefordert wird und kein gegengeschlechtlicher Depp da ist, der es macht. Im Ernst, ich kenne Männer, die könnten nicht mal dann einen Reifen wechseln, wenn ihr Leben davon abhinge (!)
Im Folgenden geht’s dann darum, wie Frauen Männern böse Körbe geben, obwohl die doch nur eigentlich echt nett zu Frauen sein wollen. Das finde ich sehr bedauerlich, aber ich zum Beispiel habe sehr befriedigende und innige Beziehungen zu den Menschen, die ich liebe, und wenn man das Beste schon hat, braucht man nicht mehr davon. Ich bin daher sehr sachlich beim Körbe verteilen. Kommt allerdings noch eine zweite, dritte und vierte Anfrage nach dem ersten deutlichen NEIN, ist das zweite NEIN nicht mehr ganz so freundlich, und es wird mit zunehmendem Stalking nicht besser, sondern schlechter. Alles andere wäre kontraproduktiv und würde falsche Signale senden.
Alles in allem kann ich also diesen ganzen Artikel nicht in Einklang bringen mit dem, was ich erlebt habe. Immerhin kommt dann am Ende doch noch ein bißchen Vernunft in die Sache: „liebe Dich selbst und komm mit Dir ins Reine, dann brauchst Du den anderen/die andere nicht zu unterdrücken.“ Das gilt aber nun für beide Geschlechter. Männer oder Frauen nicht als Einzelexemplare, sondern als ganzes Geschlecht abzuwerten ist ein Zeichen seelischer Unreife. Gut möglich, daß das abgewiesene Männer oder unterdrückte Frauen nicht tröstet, aber man kann (Leidens-)Druck auch als Aufforderung oder Anlaß zu persönlichem Wachstum sehen.